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Eine weiße Rose – Jugendfahrt nach Polen mit Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz

Es ist der 3. März, Freitag, 15.30 Uhr. ZOB Erkner. Eine Gruppe von Jugendlichen steht inmitten eines Gepäckberges. Eine kleine Holzkiste steht mittendrin. Es ist ein kleiner Altar, gefüllt mit einer Bibel, Gesangbuch, Abendmahlspatenen und was man eben sonst noch so für einen Gottesdienst braucht.

Es ist eine ausgelassene Stimmung, viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer freuen sich, bekannte Gesichter zu sehen, wieder andere stehen zunächst noch stumm in der Gruppe, müssen erst noch auftauen. Um 15.45 Uhr kommt endlich ein silberner Bus um die Ecke und Rufe aus der Gruppe bestätigen den Gedanken: Das ist unser Bus! Eine Menschentraube bewegt sich auf den Bus zu, alle Teilnehmer holen den Personalausweis und die Teilnahmebestätigung raus, anschließend verstauen sie das große Gepäck im Gepäckraum. Kleine Rucksäcke, Taschen und Instrumente kommen in den Sitzbereich des Busses.
Nach mehrmaligem Zählen der bereits sitzenden Teilnehmenden und wiederholtem Checken der Teilnehmerliste ein kleiner Schreck, denn da fehlt offenbar noch jemand. Doch 10 Minuten später wird auch der Verspätete mit Beifall und unter Jubelrufen im Bus empfangen und unsere Fahrt nach Krakau beginnt.
Durch Baustellen, Staus und einen kleinen Umweg werden aus den geplanten fünf Stunden Reisezeit schließlich sieben Stunden, die aber kurzweilig voller Gespräche, Gesang, Ukulelespiel, der Zimmerverteilungsverhandlungen und der Einstimmung auf das vor uns liegende Wochenende mit Leben gefüllt.

In den Pausen wird der Bus getankt und auch wir stärken uns mit Essen, da und dort wird Sport gemacht und – ganz wichtig – immer erst nach mehrmaligem Durchzählen weitergefahren. Um 22.45 Uhr heißt es dann endlich: Angekommen! Die Zimmer werden bezogen und dann geht es schnell zum Abendessen. Typisch polnisch, lecker! Gegen 23.30 Uhr wird dann mit dem Gute-Nacht Impuls und einem Abendgebet die Nachtruhe eingeläutet.

Samstag. Um 7.30 Uhr Frühsport, dass ist gewöhnungsbedürftig. Wie dehnen uns, wärmen uns auf und lockern den Körper. Um 7.45 Uhr dann der Morgenimpuls. Wir sitzen im Kreis und stimmen uns auf das Erlebnis, was vor uns liegt, ein. Wir lesen Namen vor, die als Vorbereitung in der Woche zuvor auf sogenannten Stolpersteinen gefunden und notiert wurden. Wir sprechen über Einfühlungsvermögen und beten gemeinsam. Um 8.00 Uhr gibt es Frühstück, wir sitzen gemütlich zusammen und essen gemeinsam vom reichhaltigen Buffet. Bis zur Abfahrt heißt es dann Sachen packen, Lunchpaket abholen, warm anziehen und bloß den Ausweis nicht vergessen. Um 8.50 Uhr checken wir ein, das heißt, alle TeilnehmerInnen werden mit einer App gescannt und gezählt, erst als alle da sind, geht es los. Unser Busfahrer Arthur fährt uns sicher in Richtung Krakau. Auf dem Weg dorthin schauen wir uns über die Bildschirme im Bus zwei kurze Dokumentationen über das Auschwitz-Lager 2 „Birkenau“ an und tauschen uns über das Gesehene aus. Ein Verhaltenskodex wird uns ans Herz gelegt und nach etwa einer Stunde stehen wir, in zwei Gruppen geteilt, am Eingang des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Lager 1. Wir gehen durch die Sicherheitskontrolle, bekommen Kopfhörer und unsere Gruppenleiterin beginnt die Führung an einem Lageplan. Wir alle haben eine weiße Rose dabei, wir dürfen sie niederlegen, wann immer wir das Gefühl haben, eine passende Stelle des Gedenkens gefunden zu haben. Dass wir im Lager Fotos machen ist erlaubt, doch nicht immer fühlt sich das Festhalten einer Erinnerung in bildlicher Form an diesem Ort richtig an.

Wir sind in Auschwitz 1, einem Gelände, dass mit den Worten „Arbeit macht frei“ auf einem Schild über dem Eingang betreten wird. Der Weg, den wir dort gehen, führt uns durch Stacheldrahtzäune, in Häuser mit Hungerzellen und zu Steinen, über denen damals verfaultes Essen ausgekippt und den Häftlingen „zum Fraß“ vorgeworfen wurde. Einige Zeichnungen und Bilder verdeutlichen: wir stehen genau an dieser Stelle!
Unsere Gruppenleiterin führt uns durch die einzelnen Ausstellungen und macht uns deutlich, mit welchem Ablauf die Häftlinge in das Lager gekommen und dort gelebt haben. Ein Arzt entschied bei der Ankunft wortwörtlich über Leben und Tod. Wir sehen das Ausmaß und die Anzahl der Häftlinge, die an diesem Ort ihr Leben lassen mussten. Im Stillen gehen wir an Bergen von Schuhen, Brillen und Haaren vorbei. Einen Moment sind einige von uns erstarrt. Doch unsere Gruppenleiterin und auch die Ausstellung an sich machen deutlich, dass die Häftlinge nicht nur eine große Zahl sind. Es sind Menschen. Menschen mit Familie, Kindern, Träumen, Wünschen, Hoffnungen. Ein Raum ist gefüllt mit Videoaufnahmen. Es werden Videoausschnitte gezeigt, in denen Freunde über Wiesen laufen. Ein Paar zeigt verliebt auf den Verlobungsring. Ein Orchester spielt in einem kleinen Ort. Am Ende dieser Ausstellung gibt es ein Buch zu sehen, es ist ein besonderes Buch und trägt den Namen „The Book of Names“ (Das Buch der Namen). In diesem Buch sind alle Namen der 6.000.000 unter dem NS-Regime ermordeten Menschen festgehalten.

Nach einer kurzen aufwärmenden Pause im Bus und der Fahrt zum Auschwitz-Lager 2 „Birkenau“ beginnt der zweite Teil der Führung um 15.00 Uhr. Wir stehen auf der Rampe. Dort, wo früher die Waggons hielten, gefüllt mit zu vielen Menschen, die dort zuvor bis zu 36 Stunden eingesperrt waren. Wir schauen zuerst in die eine Richtung, der erste Teil und später der Frauen- & Kinderteil des Lagers. Bis zu 40 Baracken standen mal in einem Bauabschnitt. Heute stehen nur vereinzelt noch Originale. Direkt an der Rampe stehen zwei Bilder, eins aus der NS-Zeit, eines kurz nach der Befreiung. Unsere Gruppenleiterin fragte uns, ob wir glauben, dass dieses Foto hier gemacht worden war. Beide Bilder waren durch mehrere Merkmale wie die Schienen und Häuser fast identisch, also bejahten wir. Sie erklärte uns, dass es viele Menschen heutzutage gibt, die dies verneinten. Sie glauben nicht an den Holocaust und auch nicht, dass so viele Menschen dort auf dem Gelände gestorben sind. Besonders im Gedenken an die Opfer wird das Bewusstsein geschaffen, das es den Holocaust wirklich gab und es dafür auch Beweise gibt. Wenn wir in die andere Richtung schauen, wird das Gelände schier unendlich groß. Stacheldrahtzäune, alte Baracken und in der Ferne sind Ruinen zu sehen. Dort standen die Krematorien. Auf dem Gelände wurden von 1941 bis 1945 Juden, Kriegsgefangene, politische Gegner, Homosexuelle, insgesamt über 1.000.000 Menschen, ermordet. Zum großen Teil vergast, aber viele sind auch an den Folgen von Krankheit, Unterernährung, Misshandlungen und medizinischen Versuchen gestorben. Auf dem Gelände legen wir unsere Rosen an der Gedenkstätte, am Krematorium oder auch an einer Wiese ab. Auf dieser Wiese, fast am Ende des Geländes, wurden viele Leichen im Freien verbrannt. Wir gehen durch ein Haus, welches für den Inbegriff der Grausamkeit steht. Es ist das Ankunftsgebäude. Die Menschen, die nicht sofort ausselektiert wurden, kamen dorthin. Sie mussten sich ausziehen, duschen und das meist kalt. Die Kleidung, das gesamte Hab und Gut, alles wurde weggenommen. Das Gepäck wurde fein säuberlich sortiert und in so genannten „Kanada“-Baracken aufbewahrt. Die Haare der Menschen wurden abrasiert und sie bekamen Häftlingskleidung. So wollte man aus individuellen Persönlichkeiten „Nummern“ machen. Am Ende dieses Hauses stehen mehrere Wände, gefüllt mit Bildern. Bilder, die die Ankömmlinge meist in Ihrem Gepäck dabei hatten. Bilder von Familienmitgliedern, Kindern oder Freunden.

Auf dem Rückweg zum Anfang des Geländes schauen wir uns noch eine erhaltene Baracke an. Wir gehen als Gruppe und doch hängt jeder einzeln seinen Gedanken ein wenig nach. Wir versuchen das Gehörte, Gesehene und Offensichtliche zu verarbeiten. An der Baracke angekommen, bereitet uns die Gruppenleiterin darauf vor, was wir gleich sehen werden und das dies der Alltag der Häftlinge war. Die Baracke hat zwei Öfen und bekam erst 1944 eine „Sanitätsanlage“. Es sind Steinböden, schmale Steinwände und dazwischen einfache Holzbretter, die die Betten sein sollen. Es ist dunkel und dreckig, doch früher, so wird uns erzählt, war es noch dreckiger, es gab lange keine Möglichkeit sich zu waschen und nicht nur auf den Brettern, sondern auch auf den Steinböden musste geschlafen werden.

Unsere Führung ist zu Ende. Wir gehen zurück zum Bus, versuchen uns aufzuwärmen und das Erlebte auf der Fahrt zurück zum Hotel zu verarbeiten. Um 18 Uhr kommen wir am Hotel an, kurz darauf bekommen wir das Abendessen und tauschen uns weiter aus. Danach gibt es die Möglichkeit an einer Jam-Session, am Gesprächskreis oder einem Spieleabend teilzunehmen. Unsere ganze Gruppe ist im Hotel verteilt und kommt zur Andacht um 21 Uhr zusammen. Das Thema: „Zuhause“ und welche Hoffnung uns die Ewigkeit schenkt, weil unsere Seele ewig lebt. Wie schreiben unsere Gedanken zu der Frage „Was gibt dir Hoffnung?“ auf kleine Zettel und hängen diese an eine Leine. Wir erzählen, was uns besonders bewegt hat. Wir beten. Gemeinsam sprechen wir über unseren Glauben und wie auch die Häftlinge vielleicht glauben konnten. Um 22.30 Uhr kommen alle im Kreis zusammen zur Abend-Geschichte.

Sonntag. Gegen 7.30 Uhr wird wieder Frühsport gemacht und wir merken beim Dehnen unseren Muskelkater. Um 7.45 Uhr lesen wir alle einen Vers aus dem Psalm 23 zum Morgen-Impuls vor und beten anschließend, zusammen an den Händen haltend, ein Dankgebet. Nach dem Frühstück geht es direkt zu Chorprobe und um 10 Uhr hält Priester Krause den Entschlafenengottesdienst. Die Zusage Jesu, dass er sich um alle Menschen kümmert, ist die Kernaussage dieses Gottesdienstes. Wir können Jesus alle unsere Sorgen und Ängste überhelfen, wir dürfen ihn anschreien, wenn wir verzweifelt sind, denn er ist größer als jede Angst. Nach dem Gottesdienst wird der Raum wieder umgebaut. Der Altar kommt wieder in seine Box und dann gibt es Mittagessen. Im Anschluss müssen die Sachen gepackt werden, die Zimmerschlüssel an der Rezeption abgegeben und dann geht es ab zum Bus, der schon auf uns wartet. Um 12.00 Uhr geht es pünktlich los und um 19.00 Uhr biegen wir laut singend am ZOB Erkner ein. Das Wochenende ist vorbei. Alle verabschieden sich, fahren in verschiedene Richtungen und sind doch trotzdem in der Erinnerung an dieses besondere Wochenende miteinander verbunden.

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